Blaupause zum richtigen Streiten

Vor zweieinhalb Jahren noch versuchten Jakob Augstein und Nikolaus Blome die politische Landschaft von links nach rechts zu vermessen. Nun machen sich die beiden Journalisten auf die Suche, was Deutschland im Inneren zusammenhält und was es spaltet.
Jakob Augstein und Nikolaus Blome zu Gast auf dem auf dem roten Sofa. (Foto Hendrik Zimny)

Ich kann mich noch ziemlich genau erinnern. Es muss vor etwa sechs Jahren gewesen sein, als ich das erste Mal Augstein und Blome auf Phoenix sah. Das damals aktuelle Thema der Woche ist mir zwar leider entfallen, doch in Erinnerung geblieben ist mir die betörende Streitlust, mit der die beiden Hauptstadt-Journalisten sich da duellierten.

Zwei Streithähne – Eine Frage

Die Duelle der beiden gibt es aber nicht nur im Fernsehen zu beobachten, sondern jetzt auch wieder in Buchform nachzulesen: Nach ihrem erfolgreichen Autoren-Debatten-Debüt vor zweieinhalb Jahren widmen sich die beiden Streithähne nun der modernen Fassung der Sozialen Frage. Denn Augustein und Blome meinen festgestellt zu haben, dass aus „Wer hat was?“ viel eher ein „Wer gehört dazu?” geworden ist.

Verkaufsfördernder Titel

Bereits im Untertitel ihres Buches wird deutlich, dass die beiden sich weder in Watte packen noch der politischen Korrektheit zu Liebe zurückhalten wollen. „Abstieg, Armut, Ausländer, was Deutschland spaltet.“ ist dabei zwar durchaus provokant und verkaufsfördernd formuliert, macht aber auch deutlich, in welche Richtung es auf den nächsten Seiten gehen wird. Zum Glück verlassen Augstein und Blome in einigen Kapiteln auch ihren journalistischen Elfenbeinturm in Berlin-Mitte und lassen in ihrem Diskussionsbuch Menschen zu Wort kommen, die zwar nicht unbedingt die Antwort auf die soziale Frage haben, aber wichtige Perspektiven liefern.

Sei es der Gewerkschaftler, die Altenpflegerin oder der Familienunternehmer – sie alle haben auf die Fragen, die ihnen Augstein und Blome stellen ihre ganz eigene Sicht der Dinge – oft auch zur Überraschung der beiden Autoren. Diese grundsätzliche Herangehensweise an die Fragestellungen macht das Buch aus meiner Sicht besonders lesenswert: Kontroverse Diskussion oder voneinander getrennte Statements, die mit mindestens einem sachkundigen Gesprächspartner garniert werden und die Aussagen von Augstein und Blome einordnen – manches Mal sicherlich auch ungewollt.

Raum und Zeit

Doch warum sollte man Augstein und Blomes Buch lesen, wenn man sie doch allwöchentlich im Fernsehen beim Streiten beobachten kann? Weil nicht nur die beiden Autoren in diesem Buch ausreichend Raum haben, ihre Argumente mit faktenreichen Erklärungen zu untermauern, sondern auch weil man beim Lesen die Zeit findet, die eigenen Gedanken und Meinungen zu sortieren und sein eigenes Weltbild kritisch zu hinterfragen.

Es ist die wohltuende Ruhe und Gelassenheit, mit der die beiden auch in ihrem zweiten Buch den Meinungsstreit zelebrieren und sowohl provokant als auch unterhaltsam anregen, den eigenen Wertekompass auf den Prüfstand zu stellen. Und obwohl der Streit-Begriff dieser Tage eher negativ konnotiert ist, verspürt man nach der Lektüre dieses Buches den inneren Drang, sofort den nächsten Debattierclub aufzusuchen.

Für eine Gesellschaft, in der öffentliche Debatten meist trennscharf entlang bekannter Lagergrenzen verläuft, kann dieses Buch vielleicht eine Blaupause liefern, wie man losgelöst von Vorwürfen und Unterstellungen streiten kann.

Zur Leipziger Buchmesse saß ich mit Jakob Augstein und Nikolaus Blome auf dem roten Sofa von mephisto 97.6 und sprach mit ihnen über ihr neues Buch.