Wer im Süden Sachsen-Anhalt ans Fliegen denkt, schaut zuerst zum Flughafen Leipzig/Halle. Doch auch in Oppin, nördlich von Halle, starten Maschinen. Von dort bin ich zu einem Rundflug über die Dächer der Saalestadt aufgebrochen – an der Seite von Carmine Bevilacqua. Der Leipziger Arzt hat im Süden des Landes seine fliegerische Heimat gefunden.

Ein schwüler Sommertag auf dem kleinen Verkehrslandeplatz Halle-Oppin. Nur eine leichte Brise aus Westen bringt an diesem drückend warmen Nachmittag etwas Erfrischung. Eigentlich schaut alles nach perfekten Flugbedingungen aus – zumindest für einen Laien wie mich. Doch Carmine Bevilacqua zeigt in die Richtung, aus der der Wind kommt. Dort türmen sich bereits hohe Wolkenberge. Eine breite Gewitterfront, wie Bevilacqua erklärt, die in wenigen Stunden auch über Halle stehen könnte. Wir sollten uns also beeilen, wenn wir trockenen Flügels unseren kurzen Rundflug absolvieren wollen.
Vor dem Start prüft er nochmal, ob sich alle Ruder und Klappen bewegen und dann kann es auch schon losgehen. Wir steigen in das erstaunlich enge Cockpit der Cessna, die vier Personen und etwas Gepäck Platz bietet. Nach einem kurzen Hinweis, wie ich mich im Notfall verhalten sollte, startet Bevilacqua schon den Motor – was aufgrund der warmen Termperaturen gar nicht so leicht ist und erst beim dritten Anlauf funktioniert. Nachdem der Motor sich dann aber doch auf unsere Seite geschlagen hat und dröhnend auf sich aufmerksam macht, beginnen wir zu Rollen.
Augen auf im Flugverkehr
Auf dem Weg zur Startbahn prüft Bevilacqua noch einmal alle Instrumente und Anzeigen. Über Funk informiert er die Piloten in der Umgebung, dass wir starten wollen. Einen Fluglotsen, der den Verkehr koordiniert, den gibt es in Halle nicht. Hier müssen die Piloten die Augen selbst aufhalten und schauen, dass sie sich nicht zu nahe kommen. Ein prüfender Blick nach links und einer nach rechts – die Bahn ist frei und wir rollen auf.
Ein letzter Funkspruch und der 200 PS-starke Motor heult auf. Die Beschleunigung überrascht mich und drückt mich für einen kurzen Moment in den Sitz. Nach wenigen Augenblicken sind wir schnell genug und heben ab. Routiniert drückt Carmine Bevilacqua einige Knöpfe auf dem Instrumentenbrett und fährt mit einem kleinen Hebel das Fahrwerk ein.
Halle aus der Vogelperspektive
Zunächst fliegen wir über Halle. Von hier oben wirken die Bahnanlagen in Halle noch größer als bereits vom Boden aus. Immer wieder prüft Bevilacqua den Horizont und schaut, dass wir keiner anderen Maschine in die Quere kommen. Auch wenn sich über den Flugfunk viele Piloten zu Wort melden, zu sehen sind sie hier oben nicht.

Wir drehen in Richtung Leipzig. Immer wieder rüttelt und schüttelt es unsere Maschine. Das sei völlig normal, erklärt mir Carmine Bevilacqua. Denn wir fliegen nicht sonderlich hoch und bekommen so alle thermischen Veränderungen durch den Boden unter uns direkt zu spüren. Hinzu kommt der auffrischende Wind, dem wir dank unseres leichten Gewichts eher ausgeliefert sind als große Verkehrsmaschinen, die sich beispielsweise am Flughafen Leipzig/Halle tümmeln.
Segelflug als Einstiegsdroge
Warum ist Bevilacqua eigentlich nicht selbst Pilot dieser „Dickschiffe“ geworden? Als Jugendlicher habe er mit dem Gedanken gespielt, berichtet er. Doch es kam einfach anders. Am Ende landete er in der Medizin, ist heute Oberarzt an einer Leipziger Herzklinik. Dass er die Fliegerei nicht zu seinem Beruf machen konnte ist für Bevilacqua im Nachhinein aber ein Glücksfall: „Ich kann mir aussuchen, ob ich fliege, wann ich fliege und wohin ich fliege.“ Als Pilot einer Airline hätte er diese Freiheit ganz bestimmt nicht genießen können.
Schon seit 33 Jahren ist Bevilacqua nun schon in der Luft unterwegs. Angefangen hat alles mit dem Segelflug, einer typischen „Einstiegsdroge“ wie er berichtet. Der sei auch heute noch relativ günstig zu betreiben. Dafür sorgen in Deutschland hunderte Segelflugvereine. Später wechselte er dann Schritt für Schritt zum Motorflug. In den über drei Jahrzehnten seiner Fliegerkarriere hat es Bevilacqua aber auch schon in verschiedene Teile der Welt verschlagen. Nicht ohne Stolz berichtet er, dass er bereits in Europa und den USA aber auch in Nordafrika seinen „fliegerischen Horizont“ erweitern konnte.
Do-it-Yourself-Cessna
Besonders stolz scheint er aber auf die Maschine zu sein, mit der wir gerade eine ausgedehnte Kurve über Leipzig ziehen, ehe es wieder zurück nach Halle geht. Es handelt sich um eine Cessna 177 mit dem Beinamen „Cardinal“. Bereits 1975 gebaut, hat sie Carmine Bevilacqua erst vor einem Jahr gekauft und zum Teil runderneuert. So ist der Motor mit gerade mal rund 100 Betriebsstunden noch fast werksneu. Auch moderne Navigationsmittel wie GPS oder einen Autopiloten findet man im Cockpit der Cessna.
Dass die 44 Jahre alte Maschine auch einwandfrei funktioniert, darauf kann sich Bevilacqua verlassen. Denn einen Großteil der Wartungsarbeiten führt er selbst aus. Technisch sei die Maschine ihm zufolge nun zwar in einem guten Zustand, in den kommenden Jahren soll die kleine Cessna aber auch optisch wieder etwas hermachen.
Teures Hobby
Das könnte aber ein teures Projekt werden. Denn Bevilacqua erzählt mir, dass viele Ersatzteile ziemlich teuer seien. Ein kleiner Türgriff beispielsweise schlage schon mit 700 US-Dollar zu Buche. Man könne aber auch auf Ersatzteile aus abgestellten und ausgeschlachteten Cessnas setzen, die dann zwar günstiger seien aber auch noch aufgearbeitet werden müssen. Doch auch wenn die kleine Cessna ein teures Hobby für den fliegenden Mediziner ist, darauf verzichten möchte er nicht. Ganz im Gegenteil: Auf sogenannten Mitflugzentralen wie zum Beispiel Wingly und Flyt.club bietet der Hobbypilot von Halle-Oppin aus Mitflüge in seiner „Cardinal“ an.
Der Schritt, sich bei diesen Portalen anzumelden, war für Bevilacqua eine ganz logische Entscheidung. Denn schon als Student habe er Mitfahrgelegenheiten genutzt und ist auch heute noch ein großer Freund von Sharing-Konzepten. Anderen Menschen die Möglichkeit zu bieten, einmal selbst für vergleichsweise wenig Geld (ein Rundflug ist schon für knapp 50 Euro zu haben) die Welt von oben zu sehen, sei für Bevilacqua daher naheliegend gewesen. Man könne aber auch mit vielen Vorurteilen und Gerüchten über die Flieger aufräumen, denn seine Fluggäste sehen so Dinge, „die man als Fußgänger sonst nicht sieht“ erzählt er mir.
Im Tiefflug über Leipzig/Halle
Dazu gehört auch der Anflug auf den Flughafen Leipzig/Halle. Über Funk haben wir um Erlaubnis für einen tiefen Überflug über das Flughafengelände gebeten. Weil derzeit kaum etwas auf dem größten mitteldeutschen Airport los ist, geben uns die Fluglotsen eine Freigabe für den Überflug. Von Südosten kommend drehen wir auf die südliche Landebahn und sinken. Wenige Meter über dem Boden drückt Bevilacqua den Leistungshebel des Motors nach vorn und wir fliegen die Landebahn im schnellen Tiefflug entlang.

Aus dem Cockpit der Cessna offenbart sich ein Blick auf das Flugfeld, der den meisten Fluggästen sonst wohl verwehrt bleibt. Am Ende der Landebahn überfliegen wir die Autobahn und steigen wieder höher. Schnell werden die Autos unter uns kleiner und wir machen uns auf den Weg zurück nach Halle.
Zurück nach Halle
Wo wir genau hinfliegen müssen, weiß Bevilacqua, der hier im Luftraum regelmäßig unterwegs ist. Mein ungeübtes Nichtfliegerauge sucht den Flugplatz Halle-Oppin aber zunächst vergeblich. Erst kurz vor der Landung erkenne auch ich die Landebahn zwischen Feldern, Sportplätzen und Straßen. Carmine Bevilacqua überprüft nochmal die Motorleistung und die Einstellung des Höhenmessers: Alles im grünen Bereich. Das Fahrwerk wird ausgefahren und die Landeklappen sorgen für einen besseren Auftrieb im langsamen Landeanflug. Kurz vor der Piste hebt er die Nase leicht an und wir setzen – dank der auffrischenden Brise von Westen – nicht ganz sanft auf.
Während für mich ein kleines Abenteuer zu Ende geht, war es für Carmine Bevilacqua wohl eher ein Routineflug in seinem schon über 700 Stunden füllenden Pilotenlogbuch.