Ein Gespräch mit Oberbürgermeister Burkhard Jung (60, SPD) über die Schwierigkeiten des Stadtwachstums, die aktuelle Sicherheitslage in Leipzig und was die kommenden Wahlen für Leipzig und Sachsen bringen werden.

Rückblickend betrachtet kann Burkhard Jung die rasche Entwicklung Leipzigs seit seinem Amtsantritt vor zwölf Jahren selbst kaum glauben. Die damals noch hohe Arbeitslosigkeit und der große Leerstand sind längst vergessen. Stattdessen wurde Leipzig immer attraktiver – nicht nur für sich ansiedelnde Unternehmen, sondern auch für tausende neue Einwohner. Doch das Wachstum hat nicht nur den Oberbürgermeister selbst überrascht, sondern auch die Stadtplaner. Denn seit 1994 haben sich die Geburtszahlen in Leipzig fast verdreifacht. In der Folge fehlen 1.000 Kitaplätze, obwohl in den vergangenen Jahren über 100 Kitas neu gebaut wurden. Jung zufolge sei vor allem der lange Planungszeitraum für den Bau einer neuen Einrichtung ein großes Problem, das immer wieder zu langen Verzögerungen führe.
Ich hoffe, wir werden es 2019 geschafft haben, den Bedarf zu decken.
Günstiger Wohnraum auch in der Innenstadt
Nicht nur freie Betreuungsplätze, auch bezahlbarer Wohnraum ist in Leipzig zunehmend rar. Währen pro Jahr rund 1.500 neue Wohnungen entstehen, ziehen im selben Zeitraum fünfmal so viele Menschen in die Stadt. Jung sei sich der Herausforderung bewusst, vor der die Stadt stehe. Deshalb versuche er mit der Erschließung neuer Baufelder, den Baumaßnahmen der städtischen Wohnungsbaugesellschaften, und der Förderung des sozialen Wohnungsbaus dieser Entwicklung zu begegnen. Während aus der Wirtschaft zuletzt Forderungen laut wurden, dass vor allem die Verkehrsanbindungen ins Leipziger Umland verbessert werden sollen, damit sich Geringverdiener dort preisgünstig einmieten können, setzt Jung auch weiterhin darauf, den Menschen direkt in Leipzig Wohnraum zu bieten. Die Kommune habe aber kaum noch Möglichkeiten, hier die Entwicklung zu beeinflussen. Nun seien vielmehr das Land Sachsen, der Bund und vor allem private Investoren gefragt.
Ambitionierte Mobilitätsstrategie
Das Einwohnerwachstum und die wirtschaftliche Entwicklung stellen die Stadt aber auch vor eine verkehrspolitische Herausforderung. Zwar hat sich der Stadtrat nach monatelanger Diskussion auf eine Mobilitätsstrategie geeinigt, doch deren Finanzierung ist derzeit noch unklar. Immerhin sollen fast eine Milliarde Euro in Busse und Straßenbahnen und 60 Millionen Euro in ein Radwegenetz investiert werden. Ob diese Ziele bis 2030 wirklich umgesetzt werden, sei für Jung aber gar nicht ausschlaggebend. Ihm zufolge ist die ambitionierte Zielplanung aber notwendig, um sich dem selbst gesteckten Ziel zumindest zu nähern. Ohne Hilfen von Land und Bund sind diese Investitionen aber nicht zu stemmen, räumt Jung freimütig ein.
Pariser Klimaziele sind schön, aber sie müssen vor Ort gelebt werden und dafür brauchen wir die finanzielle Unterstützung des Bundes.
Hilferuf mit Polizeibehörde
Auch beim Thema Sicherheit wünscht sich Jung weiterhin mehr Unterstützung. Zwar habe man mit der Aufstellung der sogenannten Polizeibehörde versucht, auf das schwindende Sicherheitsgefühl zu reagieren. Im Grunde sei dies aber ein Hilferuf in Richtung Dresden gewesen, erklärt der Oberbürgermeister. Denn Jung findet, dass nur eine sichtbare Präsenz der Landespolizei das Sicherheitsgefühl der Leipzigerinnen und Leipziger deutlich erhöhen könne.
Waffenverbotszone im „Problem-Kiez“
Zumindest in der Eisenbahnstraße ziehen die Stadt Leipzig und der Freistaat Sachsen aber bereits seit einem Monat an einem Strang. Durch die Einrichtung einer Waffenverbotszone ist dort das Tragen von Gegenständen, die möglicherweise als Waffe verwendet werden können, verboten. Es ermöglicht der Polizei aber auch, verdachtsunabhängige Kontrollen durchzuführen. Bislang scheint das Konzept noch nicht aufzugehen. Erst vor wenigen Tagen wurde in der Eisenbahnstraße ein Mann niedergestochen und lebensbedrohlich verletzt. Für Oberbürgermeister Burkhard Jung ist es aber noch zu früh, eine erste Bilanz zu ziehen. Auch wenn Jung selbst sich über den Ausgang dieses Pilotprojekts unklar ist, verteidigt er die Einrichtung der Waffenverbotszone.
Zuschauen kann nicht die Lösung sein. Das sind wir auch den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort schuldig.
„Ein wunderbares Amt“
Neben den politischen Entscheidungen Jungs sorgte aber auch seine Kandidatur für den Vorsitz des Ostdeutschen Sparkassenverbandes in den vergangenen Monaten für viel Wirbel. Nach über 20 Jahren im Rathaus wollte er die letzten Jahre seines Berufslebens gern etwas privater ausklingen lassen. Der Vorsitz des Verbandes wäre aus Jungs Sicht eine gute Möglichkeit gewesen, da er als Politiker auch voll hinter dem Sparkassenmodell als der Bank des kleinen Mannes stehe. Der Wunsch nach Privatheit ist aber dennoch geblieben, wie Jung betont. Obwohl er das Amt des Oberbürgermeisters als ein „wunderbares Amt“ bezeichnet, möchte er sich derzeit noch nicht festlegen, ob er zur Oberbürgermeisterwahl 2020 erneut kandidieren werde.
Bitte haben Sie Verständnis, ich sage heute dazu noch gar nichts.
Rechtsruck in Leipzig
Zuvor wird kommenden Mai aber auch noch der Leipziger Stadtrat neu gewählt und der wird nach der Wahl vermutlich ganz anders aussehen als bisher. Für Jung ist das Chance und Risiko zugleich. Denn auf der einen Seite können demokratische Parteien gestärkt aus der Wahl hervorgehen. Er sieht aber auch die Gefahren durch den weltweiten Rechtsruck, der nun in Leipzig angekommen sei.
Man kann eine lokale Verantwortung nur wahrnehmen, wenn man diese Wahl auch nutzt.
Auch bei der im Herbst anstehenden Landtagswahl in Sachsen drohe Burkhard Jung zufolge ein Rechtsruck an den Urnen. Hier stehe nun aber vor allem die Landesregierung von Ministerpräsident Michael Kretschmer in der Pflicht:
Es muss uns gelingen, das Miteinander von ländlicher Region und städtischer, urbaner Situation stärker zu verbinden. Wenn das der Regiering in den vor uns liegenden Monaten nicht gelingt, wird es in der Tat schwierig.
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