Mit dem Ausstieg aus der Kernenergie und der Kohleverstromung will die Bundesregierung eigentlich die Energiewende schaffen. Doch das ambitionierte Ziel, bis 2030 die Stromversorgung in Deutschland zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien zu decken, ist in Gefahr. Denn der Ausbau der Windenergie stockt – auch in Sachsen-Anhalt.
Der Bau neuer Windräder in Sachsen-Anhalt stockt. (Foto: Har|Unsplash)
In Sachsen-Anhalt gehen schon seit Jahren immer weniger neue Windkraftanlagen ans Netz. Zahlen des Bundesverbands Windenergie zufolge wurden bis Juni 2019 in Sachsen-Anhalt lediglich zwölf neue Windräder mit einer Gesamtleistung von 43 Megawatt (MW) neu errichtet. Verglichen mit den im Jahr 2018 bereits ans Netz angeschlossenen Windrädern mit einer Gesamtleistung von über 5.000 MW entspricht das einem verschwinden geringen Wachstum von nicht einmal einem Prozent im laufenden Jahr.
Große regionale Unterschiede
Recherchen zeigen jedoch, dass der Ausbau der Windkraftanlagen in den vergangenen Jahren nicht im ganzen Bundesland zum Erliegen kam. Denn während im Landkreis Börde von 2015 bis 2018 lediglich ein neues Windrad in Betrieb ging wurden im gleichen Zeitraum im Altmarkkreis Salzwedel 40 Anlagen in Betrieb genommen. Spitzenreiter in diesem Zeitraum ist aber der Landkreis Stendal. Hier sind von 2015 bis 2018 99 Windräder mit einer Gesamtleistung von rund 300 MW ans Netz gegangen.
In diesem Jahr kam der Ausbau der Windenergie aber auch in diesen Landkreisen faktisch zum Erliegen. Während im Kreis Stendal bis Juli immerhin noch 11 Anlagen mit fast 30 MW Gesamtleistung ans Netz gingen, kam im Altmarkkreis Salzwedel nicht ein neues Windrad hinzu. Auch in allen anderen Landkreisen wurden in diesem Jahr bislang keine neuen Windkraftanlagen in Betrieb genommen.
Eine Ausnahme bildet nur der Kreis Anhalt-Bitterfeld. Hier gingen von Januar bis Juli dieses Jahres sechs Windkraftanlagen mit insgesamt 21 MW in Betrieb. Im gleichen Zeitraum wurden aber auch zwölf Anlagen mit einer Gesamtleistung von 19 MW zurückgebaut. In Summe ist der tatsächliche Ausbau der Windenergie im laufenden Jahr also auch in Anhalt-Bitterfeld nur marginal.
Bundesweiter Trend
Allerdings ist diese Entwicklung keineswegs nur in Sachsen-Anhalt zu beobachten. Denn der Ausbau der Windenergie stockt in ganz Deutschland. So wurden im ersten Halbjahr 2019 bundesweit nur 86 Windkrafträder errichtet. Das ist so wenig wie noch nie seit Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetz der Bundesregierung.
Die Gründe für den schwächelnden Ausbau der Windenergie seien komplexe Genehmigungsprozesse, die den Ausbau unnötig verzögern, meint Christoph Zipf vom Bundesverband Windenergie. So dauere die Bearbeitung von Anträgen für den Bau neuer Windkraftanlagen im Schnitt drei Jahre.
Einige Projekte würden aber noch deutlich länger benötigen. Häufig seien Zipf zufolge der Natur- und Artenschutz ein großes Problem: „Hier besteht nur unzureichende Rechtssicherheit, was nach Vergabe einer Genehmigung zu Klagen durch Umweltverbände und Bürger führen kann, die die Umsetzung der Projekte weiter verzögern.“
10-Punkte-Plan für schnellere Genehmigungsverfahren
Unbegründet sind die Klagen der Umweltschützer allerdings nicht. Den Windrädern fallen jedes Jahr Tausende von Vögeln zum Opfer, darunter viele häufige Arten wie Tauben oder Möwen, aber auch seltenere, wie Störche, Greifvögel oder Eulen. Zu einem Symbolvogel ist der seltene Rotmilan geworden, dessen Schutz von Klägern oft gegen den geplanten Bau eines Windparks als Argument ins Feld geführt wird. Dem Umweltministerium zufolge trage Sachsen-Anhalt zudem eine besondere Verantwortung für seinen Schutz, denn acht Prozent der Rotmilane weltweit brüten hier.
Daher hat der Bundesverband Windenergie Christoph Zipf zufolge gemeinsam mit den Umweltverbänden Greenpeace, WWF, Deutsche Umwelthilfe und Germanwatch einen 10-Punkte-Plan mit konkreten Forderungen für zukünftige Genehmigungsverfahren verfasst. In dem gemeinsamen Positionspapier schlagen die Verbände Maßnahmen vor, um beim Ausbau der Windenergie voranzukommen. Kernziele sind insbesondere die Standardisierung naturschutzrechtlicher Vorgaben und die Bereitstellung genügend geeigneter Flächen für Windräder.
Klimapakt ein Windradkiller?
Allerdings sieht der Windenergie-Verband genau hier ein Problem. Denn der von der Bundesregierung beschlossene Klimapakt enthalte pauschale Regelungen für den Abstand von Windkraftanlagen und Wohnhäusern.
So dürfen bis zu einem Mindestabstand von 1.000 Metern zu Wohnsiedlungen künftig keine neuen Windkraftanlagen errichtet oder ältere Windräder durch neue, meist größere ersetzt werden. So beschneide man Verbandspräsident Hermann Albers zufolge einen Wertschöpfungspool für ländliche Regionen und provoziere eine „Ökostromlücke, die die Versorgungssicherheit der deutschen Industrie in Frage stellt“.
Foto Bundesverband WindEnergie
Pauschale Abstände schränken die Handlungsmöglichkeiten vor Ort massiv ein und sorgen für mehr Frustration, statt mehr Akzeptanz zu erreichen. Hermann Albers | Bundesverband WindEnergie
Strategie für Windenergie gesucht
Vor wenigen Tagen beschäftigte sich nun auch der Landtag mit dem Ausbau der Windenergie. Aus Sicht der Grünen fehlen in Sachsen-Anhalt ausgewiesene Flächen zum Bau neuer Anlagen. Der Grünen-Abgeordnete Olaf Meister erklärte: „Wir nutzen ein Prozent der Flächen, bräuchten aber zwei Prozent. Abhilfe kann hier der Kohleausstieg schaffen. Alte Braunkohletagebaue bieten Platz für Windkraftanlagen ohne Konflikte mit Anwohnenden zu provozieren.“
Meister zufolge sollten außerdem die Kommunen selbst entscheiden dürfen, ob sie Windräder näher als bisher an Siedlungen oder Gewerbegebieten bauen lassen wollen. Unterstützung erhielt er von Wirtschaftsminister Armin Willingmann von der SPD, der betonte: „Dort, wo wir noch Tagebaulöcher haben, können wir durchaus über neue Windkraftanlagen sprechen.“
Für den Koalitionspartner CDU ist das aber keine Option. Der Unionsabgeordnete Ulrich Thomas kritisierte, dass man die Menschen vor Ort nur unzureichend mitgenommen habe. Wenn erneuerbare Energien auch künftig auf Akzeptanz stoßen sollen, müsse Thomas zufolge deren Ausbau mit der Senkung der Strompreise und einer stärkeren Beteiligung der Anwohner einhergehen.
Foto CDU Sachsen-Anhalt
Die Verlierer der Energiewende zahlen hohe Strompreise, haben keinen Gewinn und müssen auch noch die Verspargelung ihrer Heimat hinnehmen. Ulrich Thomas | CDU
Auch wenn die Frage um den Ausbau der Windenergie einen weiteren Streit in der schon belasteten Kenia-Koalition vom Zaun brechen könnte, kommt die Landesregierung nicht umhin, Antworten zu suchen. Im Zuge der Energiewende soll bis 2022 das letzte Kernkraftwerk abgeschaltet sein und auch der Kohleausstieg ist bis 2038 geplant. Experten zufolge seien diese Ziele jedoch in Gefahr, wenn der Ausbau der Windenergie mittel- und langfristig nicht wieder auf Trab gebracht werde.